Design Thinking einfach online? Oder mit anderen Worten: Wie komme ich online vom Problem zur innovativen Lösung? Darum ging es im 3-tägigen Design Thinking Online-Workshop mit einem meiner Kunden aus der Verwaltung. Design Thinking ist ein nutzerzentrierter iterativer und strukturierter Prozess, bei dem wir mit Empathie den Kunden verstehen lernen und im Team gemeinsam Lösungen für seine unerfüllten Bedürfnisse kreiieren.

Wo ist denn dieser Geistesblitz? Ideen und Innovationen fallen nicht vom Himmel. Kreativität ist immer ein Prozess und braucht u.a. Ruhe und Zeit. Und wie sich am Innovationseisberg erkennen lässt, liegen unter der Oberfläche harte Arbeit, Ausdauer, Fehlschläge usw. Im Design Thinking fokussieren wir uns zunächst auf das Problem des Nutzers, bevor wir zu schnell nach Ideen suchen. Denn die Formulierung der „richtigen“ Frage ist entscheidend, welche innovativen Lösungen wir kreieren können.

Startpunkt Problem im Design Thinking

»Wenn ich eine Stunde habe, um ein Problem zu lösen, dann beschäftige ich mich 55 Minuten mit dem Problem und fünf Minuten  mit der Lösung.« Das sagte schon Albert Einstein.

Bevor die Teilnehmerinnen daher in Lösungen eingetaucht sind, durften sich alle erst mal noch tiefer mit ihren jeweiligen „Problemen“ ihrer Nutzer befassen. Das macht Design Thinking u.a. aus. Sie führten Interviews, zogen daraus Erkenntnisse, entwicklelten erste Ideen und dann ging es natürlich ins Machen. Das heißt sie konnten ihre Ideen prototypen.

Design Thinking Prozess

Prototypen und mit den Händen denken

Übersetzen können wir Prototypen auch mit den Händen denken. Das bringt deine Ideen in eine fassbare Form und hilft auch direktes Feedback von deinen Nutzern einzuholen. Hier ein Prototyping Methoden im Überblick:

  • Visualisieren: Durch Zeichnen, Malen, Foto-Collagen die Ideen sichtbar machen
  • Haptische Prototypen: Mit Knete, Lego, Karto und Bastelmaterial die Idee visualisieren
  • Rollenspiele: In der Interaktion der Nutzer und der Erfinder wird der Kern der Idee deutlich
  • Digital Prototyping: Mit Mock-Ups, Kollaborationsboards wie Miro oder Conceptboard, WordPress & Co.
Design Thinking mit Walt Disney Methode

Doch Design Thinking ist mehr als eine Methode – es ist das Mindset, was entscheidend ist: Freude, Prototypen und spielerisches Ausprobieren – das konnten die Teilnehmerinnen auch online ganz wunderbar erleben. Das Miro Board hat die Teilnehmerinnen beim kreativen Experimentieren wunderbar unterstützt.

Design Thinking Online Workshop

Hier erfährst du noch mehr zu Design Thinking und den einzelnen Phasen.

Design Thinking trägt auch den Namen Human Centred Design, denn bei allem steht der Mensch bzw. Anwender im Mittelpunkt. Die Methode zielt darauf, Lösungen zu finden, die aus Anwendersicht überzeugend sind.

Geprägt hat den Begriff Design Thinking insbesondere David Kelley, Gründer der renommierten Design- und Innovationsagentur IDEO, der auch die d-school an der Stanford University mit aufbaute.

Drei Kernprinzipien im Design Thinking: People, Place und Process

Im Design Thinking gelten die drei Kernprinzipien People, Place und Process, die die Arbeit und Denkkultur prägen. Schauen wir uns das genauer an:

People: Dieses Prinzip fordert interdisziplinäre Teams – also eine Zusammenarbeit von Experten aus unterschiedlichen Bereichen, die gemeinsam Grenzen überwinden können. Hierbei gilt das T-Shape-Prinzip: Der vertikale Teil des Buchstabens steht für tiefes Wissen in einem Fachgebiet und der horizontale Teil des Ts für breitgefächerte interdisziplinäre Kenntnisse des Teams.

Interdiziplinäre Teams im Design Thinking
Interdiziplinäre Teams sind wichtig im Design Thinking

Place: Nach diesem Design Thinking Prinzip soll eine freie und flexible Arbeitsumgebung genutzt werden, die Kreativität fördert. Stehtische, ausreichend Platz, bewegliche Möbel, Whiteboards, Haftnotizzettel, Materialien zum Prototypen sind eine typische Ausstattung dieser Kreativräume. Das Gleiche gilt beim virtuellen Arbeiten. Hier helfen inspirierende Landschaften und visuelle Reize wie beispielsweise im digilogen Seminarhaus (siehe Galerie).

Process: Der Design Thinking-Prozess besteht aus den drei Hauptphasen Inspiration, Ideenfindung und Implementierung. Diese wiederum lassen sich in die sechs Phasen Verstehen, Beobachten, Synthese, Ideation, Protoyping und Testen unterteilen . Weiter unten finden Sie einen detaillierten Ablauf mit weiteren Tipps zu den einzelnen Phasen. Der Prozess wird häufig linear dargestellt, ist jedoch iterativ gestaltet, d. h. das Design Thinking-Team wiederholt bei Bedarf einzelne Phasen.

Design Thinking Prozess und 3 x i
Design Thinking Prozess und 3 x i Grafik: Katharina Netolitzky ©
aus Kreativitätsboost für Ihr Marketing Neue Wege der Ideenfindung

Spielerisches und logisches Denken im Design Thinking

Auch wechseln sich im Design Thinking Phasen der Divergenz und Konvergenz ab, sind aber jeweils klar voneinander getrennt. In divergenten Phasen liegt der Fokus auf spielerisches Denken und einer Vielzahl an Ideen, während mit dem konvergenten, logischen Denken Erkenntnisse und Ideen zusammengeführt und verdichtet werden.

Visualisierung und Prototyping spielen ebenfalls eine wichtige Rolle im Prozess. Ideen werden mit Skizzen oder Storyboards visualisiert und zudem werden schnell und einfach Prototypen beispielweise mit Lego, Knetgummi oder Bastelmaterial angefertigt. Ein IT-Programm kann auch einfach mittels Skizzen gezeichnet sein. Es ist wichtig, hier nicht perfektionistisch und zeitintensiv Prototypen zu entwickeln, sondern mit möglichst geringem Aufwand mutig und schnell vorzugehen.

Die wichtigsten Regeln für den Design Thinking Prozess

Design Thinking Regeln
Design-Thinking-Regeln Grafik: Katharina Netolitzky ©
aus Kreativitätsboost für Ihr Marketing Neue Wege der Ideenfindung

Der Design Thinking Prozess im Detail

Die ersten drei Phasen im Design Thinking Verstehen, Beobachten und Synthese dienen der Beschäftigung mit dem Problem und werden auch als Problemraum bezeichnet. Und die anschließenden drei Phasen Ideation, Prototyping und Testen machen den Lösungsraum aus. Problem und Lösung werden dabei klar voneinander getrennt betrachtet. Tauchen wir nun tiefer in die sechs Phasen ein:

Verstehen kommt vor verstanden werden

1. Verstehen: Albert Einstein sagt: »Wenn ich eine Stunde habe, um ein Problem zu lösen, dann beschäftige ich mich 55 Minuten mit dem Problem und fünf Minuten mit der Lösung.« Dieser erste Schritt widmet sich ausschließlich damit, das Problem gänzlich zu verstehen – er ist die Basis für alles, was folgt, und sollte daher so genau und gründlich wie möglich wahrgenommen werden. Dabei decken Sie möglichst alle Zusammenhänge auf und analysieren, wer involviert ist, welche Vorgeschichte es gibt usw. Hierzu können Sie als Tool eine Mindmap verwenden, um alle Aspekte zu sortieren.

Beobachten in der Empathiephase

2. Beobachten: Beobachten wird auch häufig als Empathie-Phase im Design Thinking bezeichnet, denn hier geht es darum, sich in den Nutzer hineinzuversetzen und seine Bedürfnisse und Emotionen herauszufinden. Wie fühlt sich der Nutzer mit dem Problem? Welches Bedürfnis hat er in einer bestimmten Situation?

Das ist eine sehr wertvolle Phase, die eben nicht nur die Eisbergspitze, wie z. B. das Verhalten, betrachtet, sondern tief eintaucht, um auch für den Nutzer oftmals unbewusste Bereiche zu entdecken. Hier hilft es, die Nutzer genau zu beobachten und insbesondere ihre Gesichter zu lesen. Denn das ist die Bühne der Emotionen. Alles zeigt sich unwillkürlich im Gesicht, auch wenn das dem Nutzer nicht bewusst ist oder er etwas verbergen will. Qualitative Marktforschung in Form von Tiefeninterviews oder auch Selbsterfahrung sind typische Tools in dieser Startphase.

Zusammenführen von Phase 1 und 2

3. Synthese: In dieser dritten Phase des Problemraums werden die Erkenntnisse aus den ersten beiden Phasen zusammengeführt. Deswegen ist hier konvergierendes Agieren gefragt: Der Kern des Problems wird definiert. Und das Ganze verschmilzt in der entsprechenden Leitfrage, die startet mit »Wie könnten wir …?«.

Die letzten 3 Phasen Ideation, Prototyping und Testen bzw. der Lösungsraum

4. Ideation: In dieser Ideenfindungsphase regiert das divergente und spielerische Denken. Sie leitet die Lösungsphase ein. Hier können Sie sämtliche Ideenfindungs- Tools nutzen, um wilde Ideen zur Problemlösung zu entwickeln. Die bekannten Regeln des divergierenden Denkens – Quantität vor Qualität, Kritik zurückstellen, visualisieren und auf den Ideen anderer aufbauen – gelten hier. Hier eignen sich sämtliche intuitiv-fantasieanregenden Tools wie zum Beispiel die Kopfstand-, die 635- oder auch die Reizwortmethode . Die Phase wird konvergent mit einer Ideenbewertung abgerundet.

Lösungen greifbar machen

5. Protoyping: Diese Lösungsphase zeichnet Design Thinking aus, denn hier geht es darum, die Lösungen sehr schnell und mit wenig Aufwand greifbar zu machen. Einfache Prototypen werden gezeichnet, gebastelt oder konstruiert. Hier kommen insbesondere Legosteine, Knetgummi, Rollenspiele oder auch Zeichnungen zum Einsatz. Statt Perfektionismus ist hier Mut zum »einfachen und unfertigen Modell« gefragt. Denn damit lässt sich viel schneller erkennen, ob die entwickelte Lösung für den Nutzer passt und was sich noch optimieren lässt. Bevor beispielsweise Programmierer in die Entwicklung gehen, kann das Team anhand einfacher Zeichnungen ein direktes Feedback zum Aufbau und Handling vom Nutzer erfahren. Somit spart das Team am Ende des Prozesses, in der Entwicklungsphase, Zeit und auch Budget.

Prüfen, wie es ankommt

6. Testen: Der entwickelte Prototyp kommt in dieser Phase zum Einsatz, um zu prüfen, wie die Idee beim (zukünftigen) Nutzer ankommt und was sich noch verbessern lässt. Welche weiteren Wünsche hat der Kunde an den Prototypen? Hier heißt es zu beobachten, zu fragen und eine positive Fehlerkultur zu leben. Es ist wertvoll, wenn sich in dieser Phase Fehler zeigen, bevor das Produkt am Markt »floppt«. Mit diesen wertvollen Hinweise oder Erkenntnissen kann das Team nochmals in die Ideationsphase »springen«, um Ideen für das Problem zu finden. Der Prozess ist beendet, wenn der Nutzer in der Testphase begeistert ist und seine bewussten und unbewussten Bedürfnisse erfüllt sind.

Fazit

Insbesondere in unserer schnelllebigen Zeit erfreut sich Design Thinking zunehmender Popularität. Die strukturierte Vorgehensweise, die Kreativität ermöglicht, die konsequente Anwenderorientierung und die Möglichkeit, durch schnelles Prototyping frühzeitig Fehler aufzudecken, machen Design Thinking zu einem sehr nützlichen Instrument, um auf die Probleme unserer Zeit effizient Lösungen zu finden. Und es ist zugleich mehr als ein Tool, es lädt ein zur Gestaltung einer kreativen Kultur.

Kreativprozesse digilog erleben

Am Mittwoch, den 7.7.21 findet die nächste digiloge Ideenwerkstatt in Kooperation mit dem digilogen Seminarhaus statt. Dort kannst du viele Kreativitätsmethoden erleben und bekommst Praxistipps zu Design Thinking und kreativen Erfolgen im virtuellen Arbeitsalltag. Mehr Infos findest du hier und auf linkedin. Sei dabei – NEUgier genügt!

Kreativität im Unternehmen lässt sich durch ideale Rahmenbedingungen für Ideenentwicklungen und Innovationen gezielt fördern – insbesondere Innovationsräume gelten als Brutkästen für Ideen und Kreativität. Vielseitige Impulse finden Sie in meinem neuen Buch „Kreativitätsboost für Ihr Marketing – Neue Wege der Ideenfindung“ . Hier nun ein exklusiver Ausschnitt aus dem Buch mit Markus Müller im Experteninterview zu Innovationsräumen.

Ideale Rahmenbedingungen für Kreativität
Ideale Rahmenbedingungen für Kreativität schaffen

Kreativräume für Meetings, Offsites und Workshops

Immer mehr Unternehmen setzen auf eigene Kreativräume, um Innovationen zu fördern oder mieten regelmäßig Innovationsräume für Offsites, Teammeetings oder andere wichtige Zusammenkünfte. Ein Innovationsraum hat den Zweck, ein »Brutkasten« für Ideen zu sein mit einem ideenfördernden Umfeld. Er unterscheidet sich deutlich von Seminar- und Besprechungsräumen in Gestaltung und Ausstattung. So finden Ideensuchende in den Räumen neben Flipcharts, Metaplanwänden, Beamer vor allem Prototyping-Material und Werkzeuge, um ihre Ideen zu visualisieren, fern von allen PowerPoint-Konzepten. Auch lädt der Raum weniger zum Sitzen als zum Bewegen ein. Zwar gibt es auch Sitzgelegenheiten, doch weniger feste Tischgruppen und Stühle. Es ist alles offener und flexibler gehalten und lädt zum spielerischen Arbeiten ein. Sie sollen die Zusammenarbeit beleben und ein »Out of the box«-Denken fördern.

Innovationskultur ist entscheidend

Doch ein Innovationsraum allein macht noch längst kein Unternehmen kreativ! Neben einer professionellen Moderation, die Kreativität fördert braucht es eine Innovationskultur und Führungskräfte, die diese Kultur vorleben. Jeder Mitarbeiter sollte Zugang zu den Räumlichkeiten haben und diese zu nutzen wissen. Denn sie sollen ja nicht als weiteren Besprechungsraum umfunktioniert werden, sondern Ideen und Innovationen fördern.

In dem folgenden Interview aus dem neuen Buch „Kreativitätsboost für Ihr Marketing – Neue Wege der Ideenfindung“ verrät Experte Markus Müller, Inhaber und Gründer von SOUL WORXX und dem Innovationsraum Denkdach, was es hierzu alles ganz konkret braucht und welche Möglichkeiten Unternehmen haben.

Kreativitätsexperte und Denkdach Gründer  Markus Müller
Denkdach Gründer und Inhaber Markus Müller

Experteninterview mit Markus Müller – Workshops im Wohnzimmer

Sarah Remmel: Markus, als Innovationsexperte und Berater begleitest du bereits seit 15 Jahren Unternehmen in der Schweiz und Deutschland in Sachen Innovationsma­nagement und verfügst über tiefe Einblicke in die Praxis. Welchen Stellenwert neh­men Innovationsräume heutzutage für Unternehmen ein? Wo stehen Unternehmen bei dem Thema »Innovationsräume« Ihrer Meinung nach?

Markus Müller: Innovations- und Kreativräume sind eine wichtige und gute Sache. Sie erlauben es, aus dem sprichwörtlichen Hamsterrad der täglichen Arbeit auszubre­chen und eine neue Perspektive einzunehmen. Sie geben uns im wahrsten Sinne des Wortes einen gewissen Freiraum.

Für viele Firmen gehört ein Kreativraum zum guten Ton. Eine Modeerscheinung. Ich habe aber das Gefühl, dass viele Unternehmen einen Innovationsraum auf die leichte Schulter nehmen. Letztlich ist ein Kreativraum bloß ein Puzzleteil innerhalb einer guten Innovationskultur. Nur mit einem Innovationsraum wird man definitiv nicht innovativer.

Denkdach für Workshops wie im Wohnzimmer

Sarah Remmel: Du hast selber letztes Jahr den Innovationsraum »Denkdach« in Olten in der Schweiz eröffnet. Du nennst es auch »Workshops im Wohnzimmer«. Für wen hast du dieses öffentliche Wohnzimmer eingerichtet?

Spielerisches Arbeiten ist eine Kernkompetenz der Zukunft!

Markus Müller: Für alle, die aus dem eben beschriebenen Hamsterrad ausbrechen und in kreativer Wohlfühl-Umgebung an neuen Ideen, Projekten, Strategien und Ver­änderungen arbeiten wollen. Und vor allem: Wir haben eine Umgebung geschaffen, die spielerisches Entwickeln erlaubt. Spielerisches Arbeiten ist eine Kernkompetenz der Zukunft!

Anlässe im Unternehmenskontext

Sarah Remmel: Dass Kreativität und Innovation wichtig für alle Unternehmensbe­reiche ist, haben viele Unternehmen heute erkannt. Für wen konkret und für welche Anlässe im Unternehmenskontext können deiner Meinung nach Innovationsräume hilfreich sein? Was sind deine Erfahrungen?

Markus Müller: Ach, ich weiß gar nicht, ob man das so festlegen kann oder soll. Das fängt bei Change-Managern an, die mit ihren Teams Kick-offs durchführen. Das kön­nen Produktentwickler sein, die erste Produktideen mit entsprechenden Prototypen erstellen. Aber das können beispielsweise auch HR-Fachleute sein, die in wohnlicher Umgebung kritische Gespräche führen möchten. Solche Räume sollen einfach für alle da sein, die frei und ungezwungen arbeiten wollen und müssen.

Innovationsräume im Marketing

Sarah Remmel: Und inwieweit sind Innovationsräume insbesondere für Marketing­verantwortliche besonders wertvoll?

Markus Müller: Marketing sollte ja per se schon eine kreative Disziplin sein. Das fängt bei neuen Produkten und Dienstleistungen an. Geht über die Kommunikation und Ver­marktung bis hin zu Events. Da braucht es überall visuelle und spielerische Ausdrucks­möglichkeiten, mit denen man die Ideen nicht bloß denken, sondern auch gleich »for­men« kann. Nehmen wir einen 0815-Meetingraum. Dort steht doch meistens bloß ein Flipchart drin. Wenn man Glück hat, noch ein Whiteboard mit Moderationskarten. Und wenn man ganz viel Glück hat, Markerstifte, die noch genügend Tinte haben. Damit kann man doch nicht kreativ sein.

Tipps für das Einrichten eines Innovationsraums

Sarah Remmel: Und ganz praktisch: Und was bräuchten Unternehmen, die selber einen Denkraum einrichten wollen? Oder auch mehrere?

Markus Müller: Es braucht ein wenig Platz. Aber allzu viel muss es nicht sein. Es gibt auch keine Regeln, schon ab 30 m2 kann man sich funktionale Räume einrichten.

Es braucht aber auf jeden Fall Räumlichkeiten, in denen man im wahrsten Sinne des Wortes arbeiten darf. Designerräume, die wie Museen eingerichtet sind, funktionie­ren aus meiner Erfahrung weit weniger gut als »Hands on«-Räume, wo man auch mal etwas ersetzen muss, weil es verbraucht ist. Insofern dürfen es also durchaus auch günstigere Möbel sein, die mobil sind, die man verstellen kann. Und noch etwas … ich lerne immer wieder, dass Mitarbeitende ziemlich genau wissen, worauf es bei ihnen ankommt. Deshalb: es braucht nicht zwingend Innenarchitektinnen oder -architek­ten, um coole Kreativräume einzurichten!

Denkdach Manifesto und Kreativitätsregeln für Workshops

Sarah Remmel: Du hast ein »Denkdach-Manifesto« entwickelt – was hat es damit auf sich?

Kreativitätsregeln für Innovationen
Kreativmeetings brauchen feste Regeln

Markus Müller: In vielen Kreativräumen hängen heute Verhaltensregeln. Oft sind es überall die gleichen. Gebote, die man einfach kopiert hat. Da heißt es beispielsweise: »Produziere viele Ideen«, »Urteile nicht sofort« oder »Lass auch wilde Ideen zu«. Natür­lich sind all diese Gebote noch immer hoch aktuell. Aber wir wollten einfach etwas »Neues«. Und da wir uns auch stark mit der »neuen Arbeitswelt« beschäftigen, sollte das »Manifest« etwas mit den notwendigen weichen Kompetenzen zu tun haben, die es braucht, um in der künftigen Arbeitswelt bestehen zu können.

Ein guter Kreativraum sollte so eingerichtet sein, dass alle acht Punkte des Manifes­tes abgedeckt werden. Es soll Prototyping-Material da sein. Vielleicht Legosteine und Playmobil-Figuren, viele Stifte und Wachsmalblöcke, mit denen man sich visuell aus­drücken kann. Eine Büchersammlung, aus der man Inspiration holen kann. Bei der Einrichtung sind kaum kreative Grenzen gesetzt. Man soll einfach die Neugier walten lassen können und auch im Raum selbst immer wieder Neues entdecken.

Eigene Innovationsräume vs. Workshops außerhalb

Wahrscheinlich werden jedoch Unternehmen von morgen oder übermorgen gar keine expliziten Kreativräume mehr benötigen. Man spricht heute schon vom »Activity Based Working«.

Sarah Remmel: Welche Vorteile siehst du in einem eigenen Innovationsraum und wann empfiehlst du, Workshops außerhalb des eigenen Unternehmens durchzufüh­ren?

Markus Müller: Ich beginne mit den Nachteilen. Nicht selten steht ein Kreativraum mehr leer, als dass in ihm gearbeitet wird. Und … ein Kreativraum im eigenen Unter­nehmen ist räumlich zu nah am Arbeitsplatz. Meist lädt dies dazu ein, trotzdem »noch schnell« eine E-Mail zu beantworten, dem Kollegen eine dringende Antwort zu geben oder dauernd erreichbar zu sein.

Ein eigener Kreativraum hat hingegen auch den großen Vorteil, dass er – mehr oder weniger – immer und schnell zur Verfügung steht, wenn man ihn braucht.

Wahrscheinlich werden jedoch Unternehmen von morgen oder übermorgen gar keine expliziten Kreativräume mehr benötigen. Man spricht heute schon vom »Activity Based Working«. Das bedeutet, dass im Unternehmen für alle Arten von Arbeiten die richtige Umgebung vorhanden ist. Man hat informelle Zonen für den lebendigen Aus­tausch, man kann sich für die konzentrierte Arbeit in Ruhezonen zurückziehen oder man hat »lebendige« Zonen, in denen man spinnen, zeichnen, konstruieren, visuali­sieren darf.

Innovationsraum-Varianten für Unternehmen

Sarah Remmel: Welche Möglichkeiten für Innovationsräume gibt es denn heute für Unternehmen?

Markus Müller: Grundsätzlich kann man drei Varianten unterscheiden: Erstens: eigene Räume (selbst betrieben) inhouse. Zweitens: eigene Räume extern (selbst betrieben, beispielsweise zentral für verschiedene Standorte) oder drittens: Räume durch Externe betrieben, die man dann mietet, wenn man sie braucht.

Eigene Räume (intern oder extern) sind dann zu empfehlen, wenn man den Platz dazu hat, man sie stark auslasten kann und die Kultur und – obwohl ich den Ausdruck nicht gerne höre – Regeln da sind, und man weiß, wer den Raum wofür, wann und wie nut­zen darf, soll und kann.

Sarah Remmel: Und wie sieht es mit der Größe aus: Wie viel Platz sollte der Raum bieten und ab welcher Unternehmensgröße empfiehlst du einen Raum zum »Ausbre­chen«?

Markus Müller: Das würde ich nicht pauschalisieren wollen. Sicherlich braucht ein »Solopreneur«, also ein Kleinstunternehmer, keinen Kreativraum. Aber schon für Fir­men mit einer Größe von fünf bis zehn Personen kann es sich lohnen, wenn mal einer »ausbrechen« kann. Ein Raum selbst sollte mindestens für sechs bis zwölf Personen konzipiert sein. Das ist eine gute Gruppengröße, um einerseits agil und andererseits kreativ arbeiten zu können. Wenn es größere Räume sind, dann sollten Zonen geschaf­fen werden, in denen man sich in der Kleingruppe »zurückziehen« kann.

Aufwände für Innovationsräume

Das Gute vorneweg: Es braucht nicht viel Geld!

Sarah Remmel: Kommen wir mal zu den harten Fakten: Wie sieht es mit dem finanzi­ellen und zeitlichen Aufwand für Unternehmen aus?

Markus Müller: Das Gute vorneweg: Es braucht nicht viel Geld! Mein liebstes Beispiel ist das folgende: ich kenne eine Einheit der Bundesverwaltung. Die Mitarbeitenden haben einen Raum erhalten, den sie frei einrichten konnten. Ohne Budget. Da wurde man so richtig kreativ und baute sich aus aufgefrischten Euro-Paletten eine Kaffee­bar und Sofas. Natürlich braucht es etwas Geld, um gute Stifte, Flipcharts, Pinnwände o. Ä. anzuschaffen. Aber wirklich viel muss es für den Beginn nicht sein. Ins Geld geht es erst dann, wenn man auch technologisch aufrüsten will. Wenn man beispielsweise einen 3D-Drucker, eine VR-Brille und eine gute Filmausrüstung anschafft. Dann kostet es schnell mal einige Tausend Euro. Aber für den Anfang braucht man so etwas nicht zwingend.

Man sollte sich schon ein paar Wochen bis Monate geben, um einen solchen Raum ein­zurichten. Der Teufel liegt – wie so oft – auch hier im Detail. Plötzlich merkt man, dass man noch ein Buchungstool benötigt, dass man für die beschreibbaren Wände keine Permanent-Marker nehmen darf. Oder dass eine Kaffeemaschine fehlt.

Praktische Anwendungstipps für Innovationsräume

Sarah Remmel: Und wenn der Raum einmal eingerichtet ist – welche Anwendungs­tipps hast du?

Markus Müller: Am besten funktionieren Kreativräume in einer guten Innovationskul­tur. Wo alle schon intuitiv wissen, wie man solche Räume benutzt. Ansonsten soll ein­fach geregelt sein, wie lange man drinbleiben darf und kann. Ich kenne Unternehmen, bei denen man Kreativräume nicht fix buchen kann. First come, first serve. Auch das kann ein Modell sein. Ich glaube, hier gibt es kein »richtig« oder »falsch«, es muss ein­fach auf die jeweiligen Bedürfnisse angepasst sein.

Sarah Remmel: Vielen Dank, lieber Markus, für deine umfassenden und wertvollen Einblicke und Tipps.

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